Afghanische Journalist:innen im Exil: Gemeinschaft im Transit
Vor zwei Jahren übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Dies hat zu einem systematischen Abbau der Bürgerrechte und einer umfassenden Zensur der Medien geführt. Mehr als die Hälfte der 547 Medien, die im Jahr 2021 registriert waren, haben seitdem ihren Betrieb eingestellt. Doch afghanische Exilmedien bieten einen Hoffnungsschimmer. Ab Oktober wird der JX Fund afghanische Medien und Medienschaffende im Exil unterstützen.
Etwas haben die Taliban vielleicht nicht vorausgesehen. Damals, im Jahr 2001, hatte der Sturz der Taliban zu einer enormen Ausweitung der Meinungsfreiheit und dem Entstehen einer lebendigen freien Presse geführt. Die neue Generation von Afghan:innen hatte sich seit zwei Jahrzehnten an den Konsum relativ freier Medien gewöhnt. Seit die Taliban an der Macht sind, gibt es diese freie Presse nicht mehr. Darum sind unabhängige afghanische Exilmedien gerade jetzt unverzichtbar und sehr gefragt.
WACHSENDES PUBLIKUM TROTZ SCHWIERIGER UMSTÄNDE
In einem Interview mit Reporter ohne Grenzen erzählt Zaki Daryabi, Mitbegründer und Chefredakteur des afghanischen Exilmedienunternehmens KabulNow, dass die Zahl der Leser:innen in den letzten zwei Jahren erheblich gestiegen ist. Seine frühere Zeitung Etilaat Roz erlangte internationale Aufmerksamkeit mit einer Dokumentation, die die Woche der Machtübernahme durch die Taliban direkt aus der Redaktion der Zeitung in Kabul beobachtete. Davor war Etilaat Roz die auflagenstärkste Zeitung in Kabul und deckte Korruptionsskandale auf höchster Ebene in der afghanischen Regierung auf.
GESELLSCHAFT OHNE FRAUEN
Am stärksten von den gesellschaftlichen Rückschlägen betroffen sind jedoch die afghanischen Mädchen und Frauen. Sie werden aus dem Bildungssystem, aus dem öffentlichen Raum und auch aus den Medien verbannt. Eine im Dezember 2022 von Reporter ohne Grenzen und der Afghan Independent Journalists Association veröffentlichte Umfrage ergab, dass mehr als 84 Prozent der Journalistinnen seit der Machtübernahme der Taliban ihren Job aufgegeben haben. Am 3. August wurde der Radiosender Hamisha Bahar wegen eines gemischtgeschlechtlichen Journalist:innentrainings geschlossen.
Inmitten dieser dramatischen Entwicklungen feiert nun ein Medienunternehmen sein einjähriges Bestehen: Zan Times – eine von Frauen geführte, investigative Nachrichtenredaktion, die sowohl innerhalb als auch außerhalb Afghanistans arbeitet – wurde im August 2022 gegründet. In Dari bedeutet Zan Frau. Chefredakteurin Zahra Nadar, die das Medium von Kanada aus leitet, sagt, sie wolle die Stimme der marginalisierten Menschen in Afghanistan sein.
NEUE STRATEGIEN FÜR MEDIENUNTERNEHMEN
Ein weiteres von Frauen geführtes afghanisches Medium ist Rukshana. Die Nachrichtenagentur wurde im November 2020 gegründet und ist nach einer jungen Frau benannt, die zu Tode gesteinigt wurde, nachdem sie 2015 vor einer Zwangsheirat geflohen war. In einem Artikel für die Online-Plattform Mahabahu erklärt die Gründerin und Chefredakteurin Zahra Joya, dass afghanische Journalistinnen mit enormen Herausforderungen konfrontiert sind. Dennoch wächst ihr Medium seither konstant. Um den Zugang zu Informationen vor Ort sicherer zu machen, hat Rukshana nun ihren ersten männlichen Reporter eingestellt.
PREKÄRE BEDINGUNGEN UND UNGELÖSTE PROBLEME
Afghanische Journalist:innen im Exil sind eine Gemeinschaft im Transit. Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Taliban in Kabul sind hunderte afghanische Journalist:innen in die Nachbarländer Pakistan und Iran geflohen, wo viele von ihnen immer noch auf ein Visum warten, das ihnen die Übersiedlung nach Europa oder Nordamerika ermöglicht. Da sie nur über eine befristete Aufenthaltsgenehmigung verfügen, haben sie Schwierigkeiten, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden. Zwei Jahre nach der Machtübernahme sind viele dieser Probleme noch immer ungelöst. Afghanische Journalist:innen und Aktivist:innen sowie NGOs fordern die Behörden auf, ihre Versprechen einzuhalten und die unabhängigen Stimmen Afghanistans zu unterstützen.
JX FUND STARTET PROGRAMM FÜR AFGHANISCHE MEDIEN IM EXIL
Im Oktober 2023 wird der JX Fund seine neue Programmlinie für afghanische Medienschaffende im Exil vorstellen. Ziel ist es, die afghanische Medienlandschaft im Exil weiter zu stärken, um der afghanischen Gesellschaft einen kontinuierlichen Zugang zu unabhängigen Informationen zu ermöglichen.